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Was ist "zu leben"?


Bevor ich mich entschloss, mein Leben zu leben, lebte ich eher fremd gesteuert, ich funktionierte, ich fühlte mich oft energetisch leer gelaufen. Ich überlebte. Meistens fühlte ich mich nicht in meinem Körper befindlich. Mein Leben fühlte sich an, wie ein Film. Mein Geist war immer auf Gedankenreisen. Dieser Zustand zog sich durch beinahe alle meine Lebensbereiche, beruflich, privat (in meinen Rollen als Mutter, Tochter, Partnerin, Freundin) und persönlich (auch wenn ich alleine mit mir war, fühlte ich mich verloren und wusste nicht was ich mit mir anfangen soll). Ich fühlte mich gefangen, unfrei, ausgeliefert und ohnmächtig. Die wenige Freude, die ich erlebte, verging so schnell und dann holte mich die alte Leier wieder ein.


Anders fühlte ich mich beim Sport, vorzugsweise Volleyball, und beim Malen. Ich fühlte mich frei und voller Freude, entspannt, stark, präsent, lebendig. Da das Gefühl beim Sport am stärksten war, trieb ich zeitweise bis zu sechsmal die Woche Sport.

Als ich ein wenig Geld verdiente, stieg ich um auf zwei Sportarten gleichzeitig, Volleyball und Kraftsport. Dass Sport bei mir prioritär ganz oben stand, äußerte sich in der Vernachlässigung der anderen Bereiche. Sport zu treiben, machte mich sehr glücklich. Ich war süchtig nach dem Gefühl. Bis dahin konnte kein anderer Bereich in meinem Leben dieses Gefühl in mir erzeugen.

Mit 35 Jahren hatte ich es dann tatsächlich geschafft, mit einer Mannschaft in die Regionalliga zu kommen. Ich war sehr stolz, nach 21 Jahren Volleyball endlich so hoch zu spielen. Da ich als wichtiger Teil der Mannschaft stark dazu beigetragen habe die Relegation zu gewinnen, um den Aufstieg zu schaffen, ging ich davon aus, dass ich auch entsprechend Einsätze bekommen würde in der Saison.

Mein damaliger Trainer war allerdings anderer Ansicht und ich fand mich mehr auf der Ersatzbank, als mein Ego zulassen konnte. Es ergab keinen Sinn. Wir spielten die Saison recht erfolglos. In einem Spiel wurde ich dann endlich eingesetzt und wir brachten unseren ersten 3:0 Sieg nach Hause. Ich war wieder stolz und fühlte diese riesige Freude. Ich wusste wieder, warum ich diesen Sport so gerne spiele. Die nachfolgenden Spiele saß ich allerdings wiederum auf der Ersatzbank. Ich war frustriert. Ich ging nur noch ungern zum Training. Bei jedem Training und jedem Spiel, war ich mit einer Angst konfrontiert, die mir alle Freude am Volleyball nahm. Schließlich wusste ich nicht mehr, wofür ich da eigentlich meine Zeit hergebe. Ich verließ die Mannschaft noch während der Saison.

Leider waren dann ausnahmslos alle meine Lebensbereiche von Unzufriedenheit erfüllt. Ich wusste ich möchte leben. Ich möchte nicht überleben! Alles war anstrengend und schwierig. Ich habe mich nur noch beSCHWERt. Nichts schien mehr Sinn zu ergeben.

In dieser Zeit brachte mir das Universum das Buch „Jetzt – Die Kraft der Gegenwart“ von E. Tolle. Ich las darin vom gegenwärtigen Moment, von seiner Kostbarkeit, von allem was darin zu finden ist. Ich las von Frieden, lebendigem Pulsieren, von Verbundenheit, von Erleuchtung. Diese Worte, die ich las trafen mich so tief. Ich fand eine Wahrheit darin, die mein weiteres Leben sehr veränderte. Ich wollte das alles, was E. Tolle beschreibt. Mein Bauch hat so sehr „JA!“ gesagt, dass ich wusste, dass es mein Weg ist. Ich wollte leben, JETZT!

Ich sprach häufig, sehr vorsichtig mit meinem damaligen Partner über diese Thematik. Vorsichtig, weil ich mich kaum heraus traute aus meinem Schneckenhaus und weil ich eigentlich nicht wirklich beschreiben konnte, was in mir war. Ich fühlte mich unsicher und wollte nicht, dass dieses „neue“ in mir, direkt vernichtend verurteilt wird. Ich fühlte, dass ich mich selbst kaum wahrnehme, dass es immer nur um die anderen geht, dass ich mich vernachlässige.

Ich denke heute, dass dieses Gefühl, des sich selbst vernachlässigen, in mir wohnte, weil ich mir selbst nicht zugestanden habe wirklich zu leben, vor allem, wenn es um „Familie“ ging. Hier wirkte mein Glauben, dass ich es nicht verdiene mein Leben zu leben. Vielleicht sogar, dass ich es nicht verdient habe zu leben... Ich habe von Kind auf gelernt in der Familie zu überleben. Es ging also darum, meinen bis dahin festen Glauben zu lockern. Es ging darum Wege in mir, und zu mir wieder zu entdecken.

Ich fing an Spaziergänge zu machen. Allein. Mein damaliger Partner ließ es zu. Er wollte, dass es mir gut geht und war offen für meine „Launen“. Ich nahm das dankbar an. Zu kämpfen hatte ich nur noch mit meinen inneren Grenzen. „Darf ich das wirklich?“ „Steht mir das wirklich zu?“ „Darf ich mich gut fühlen?“ „Darf ich nach der Arbeit einfach noch zwei Stunden spazieren gehen, auch wenn mein Kind und mein Mann bereits zu Hause sind?“ „Ist das wirklich okay oder sagt mein Partner das nur so dahin und ist hinterrücks beleidigt?“ „Bin ich eine gute Mutter?“

Diese beschränkenden Gedanken sind wirklich schwer loszuwerden. Manchmal verfolgen sie mich heute noch.

Ich fand meine ersten Gefühle von Erfüllung, Freiheit und Frieden allein, im Spazieren in der Natur. Ich wollte immer mehr davon. Ich spazierte nach jedem Arbeitstag nach Hause. Und auch wenn mein Körper fror, ich ging weiter und manchmal machte ich noch zusätzliche Umwege um das Gefühl noch länger genießen zu dürfen.

Nach etwa drei Monaten überlegte ich mir, wie ich noch mehr von dieser Zeit in mein Leben holen könnte. Ich beschloss meine Arbeit radikal zu kürzen. Ich reduzierte um 19 Stunden, sodass ich nur noch 16 Stunden pro Woche arbeitete. Etwa zur selben Zeit machte ich mir klar, was mir in einer Beziehung wichtig ist und, wie ich mir eine schöne „Beziehung“ vorstelle. Das was ich mit meinem damaligen Partner führte, war nicht das, was mich erfüllte, das fühlte ich sehr eindeutig. Wir sprachen oft und fanden keine gemeinsame Welle. Mit meinen neu entdeckten Werten, Dankbarkeit, Wertschätzung, Respekt und Freiheit, war er überfordert. Ich wusste, dass ich gehen musste, um mir selbst zu erlauben frei zu sein.

Ich ließ also meinen Lieblingssport, meine Partnerschaft und das viele Geld, welches ich durch die vielen Arbeitsstunden verdiente, hinter mir. Das räumliche, tägliche Zusammenleben mit meiner Tochter, blieb ebenfalls hinter mir, da sie bei ihrem Papa bleiben wollte.

Ich zog vorübergehend bei meinen Eltern ein, verdiente nur noch wenig Geld, genoss einen neuen Sport (Karate) und lernte meinen Mann kennen, mit dem ich heute noch sehr glücklich zusammenlebe. Meine Lebensenergie hat vibriert! Ich war frei, glücklich und voller Frieden. Ich merkte, dass ich mein eigenes Tempo habe und ich bisher viel zu schnell gelebt habe. Ich sprintete innerlich nicht mehr, ich konnte durchatmen, langsam gehen, die Natur beobachten, mich und die Menschen beobachten. Kein Druck, viel Zeit und Ruhe. Ich erlebte einen Sommer voller Sonne, Entspannung und Liebe.

Ich spazierte täglich viele Stunden bei schönstem Wetter, ich hatte nicht viele Termine, weshalb ich morgens meistens ausschlief. Ich las sehr viel und genoss die Wunderhaftigkeit einer ganz neuen Erfahrung von zwischenmenschlicher Beziehung. Ich fühlte auf einmal Vertrauen in mich, in mein Leben und in den Lauf der Dinge. Mir ging es wirklich sehr gut und ich fühlte mich kraftvoll, erholt und sehr glücklich. Ich fühlte, dass ich mein Leben selbst bestimme. Ich lebte und ich fühlte es!


Durch die starke Entzerrung dessen, was ich so täglich zu tun hatte konnte ich noch genauer hinschauen. Im Lebensbereich Beruf fühlte ich mich noch nicht so ganz wohl. Ich beschloss herauszufinden, was ich gerne beruflich machen würde. Ich beobachtete eine Weile, was ich täglich so machte, sowohl auf der Arbeit, als auch privat. Arbeitsfreie Tage mit wenigen Terminen machten mir viel Spaß. Dann gab es Arbeitstage, die voller waren aber mir ebenfalls Spaß machten. Und es gab solche, die mich müde und kraftlos machten. Ich schaute noch genaue hin, um zu verstehen, was genau auf der Arbeit mich kraftvoll machte und was mich kraftlos machte.

Als Kraft spendenden Faktor habe ich die schon beinahe therapeutischen Gespräche mit meinen Kolleginnen identifizieren können und die Betriebsratsarbeit, bei der ich mich um die Sorgen der Beschäftigten kümmern konnte. Hier war ich selbstbestimmt. Was mich kraftlos machte, war tatsächlich die tägliche Tätigkeit im Labor und die Tatsache, dass ich täglich eine exakte Anzahl an Stunden auf der Arbeit sein musste, um dann wieder gehen zu dürfen. Das war fremdbestimmt.

Nach dieser Erkenntnis war mir nach einigem Sinnieren klar, dass ich Menschen beraten möchte. Sehr schnell fand ich eine Ausbildung in dem Bereich, zu der mein Bauch „JA!“ sagte.


Es gab da noch einen Bereich in meinem Leben, in dem ich mich im Überlebensmodus fühlte. Es war meine Rolle als Mutter. Da ich nun nicht mehr täglich Elternpflichten hatte, habe ich mich mehr damit beschäftigen können. Darüber bin ich noch heute sehr froh! Auch in diesem Bereich fand ich die Entschlossenheit für Veränderung, über das Beobachten meiner Gefühle. Ich identifizierte unwahre Gedanken im Zusammensein mit meiner Tochter, die mich kraftlos gemacht haben. Und da konnte ich ansetzen. Der Abgleich zwischen Gedanken, Gefühlen und Realität hat mir sehr dabei geholfen, meinen inneren Zustand zu verändern. Ich konnte den Glauben „Kinder sind anstrengend“ lockern und einen neuen Glauben manifestieren, „Kinder sind liebevoll und stark gebend!“.


Ich lebte in jeder Hinsicht! Ich liebte es! Während der Zeit bei meinen Eltern spürte ich immer mehr den Wunsch wegzuziehen, allein zu wohnen, frei zu sein. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar für ihre Unterstützung und ich denke, dass es gesund ist, wenn sich jeder um sich selbst kümmert und wenn man in Freude, Freiheit und Liebe zusammenkommen kann.

Es waren beinahe vier Monate bei meinen Eltern, als mein jetziger Mann und ich die Zusage für unsere Wohnung bekamen. Ich war sehr glücklich, dass sich mein Wunsch nach einem eigenen Zuhause erfüllte.

Als wir umzogen war es Sommer und mein Mann trat ab dem ersten Mietmonat unserer Wohnung eine neue Stelle in einer neuen Firma an. Zudem waren Ferien und meine Tochter war für drei Wochen bei uns.

Ich war allein mit einer Wohnung voller Kartons, mit einem lieben Kind, das Zeit mit mir verbringen wollte und dem täglichen Haushalt, plus, dem zeitigen Essen kochen, wenn mein Mann heim kam.

Da ich auf meine tägliche Routine, mindestens zwei Stunden für mich alleine, angewiesen bin und diese nicht fand in dem Lebensabschnitt, wurde ich ziemlich schnell unzufrieden. Ich fühlte mich wieder im Überlebensmodus und wusste, dass ich dafür sorgen muss, dass ich mich anders fühle. Ich überlegte mir also, wie meine Tochter und ich etwas schönes, nur zu zweit, nicht in der frisch bezogenen Wohnung unternehmen konnten, was uns beiden zusagt. Ich recherchierte und fand einen Reiterhof. Da meine Tochter passioniert reitet, wusste ich, dass sie sofort einverstanden sein würde. Ich buchte also vier Tage auf einem Reiterhof. Das Geld, das ich hatte, hat das zum Glück grade so hergegeben.


Es war wunderschön dort. Sehr viel grüne Flächen, Bäume, Wiesen, weites Land. Alle vielbefahrenen Straßen waren mindestens einen Kilometer weiter weg. Das Haus in dem wir wohnten, war ein altes Bauernhaus, aber die Zimmer waren sehr modern. Es waren viele Kinder dort, zwischen fünf und 13 Jahren. Sie waren überwiegend allein mit den Tieren, es waren ab und an Erwachsene vom Hof dabei, und ich war beeindruckt, wie verantwortungsbewusst einige Kinder waren. Meine Tochter fand sofort Anschluss und ich verstand am zweiten Tag, dass ich mir keine Gedanken um sie zu machen musste. Das Gelände war sicher und immer waren die Mädchen der Hofbesitzer oder eine Reitlehrerin da, um bei den Aktivitäten dabei zu sein. Meine Tochter stand von allein um 7:30 auf und um 8:00 ging sie ohne mich nach draußen zu den Pferden, um diese zu putzen, zu besatteln, zu füttern, spazieren zu führen und einen Ausritt zu machen. Ich buchte ihr noch zwei Reitstunden in der Gruppe. Damit machte ich sie sehr glücklich.

Ich konnte mir also überlegen, was ich die Zeit über, in der meine Tochter glücklich beschäftigt war, mache. Es fiel mir nicht schwer eine ruhige, grüne Stelle vor den weitläufigen Koppeln hinter dem Bauernhaus für mich zu finden. Dort verbrachte ich, meist in Liegeposition, etwa 3 Tage. Ich beobachtete die Wolken, dachte alle möglichen Gedanken zu Ende, bis ich keine Lust mehr hatte, mich mit ihnen zu beschäftigen, lauschte dem Geräusch, welches der Wind erzeugt, wenn er durch die grünen Baumkronen weht, atmete die Landluft und fühlte mich mehr und mehr erholt. Als ich da so friedvoll war, beobachtete ich auch die Pferde auf ihrer Koppel. Von Morgens bis Abends waren sie dort, sie standen, wälzten sich, liefen plötzlich los, um dann wieder ganz ruhig zu gehen, sie grasten sehr viel und die Fohlen saugten bei den Muttertieren Milch. Ich fragte mich, wie sie sich fühlen. Ich beobachtete sie drei Tage lang und stellte fest, dass diese Tiere, diese Manifestationen des Lebens, nichts erledigen mussten, dass keiner sie be- oder verurteilt. Sie waren auf diese Erde geboren worden, um zu leben. Ich lernte von ihnen, für mich eine der wichtigsten Weisheiten, „Leben will einfach nur leben“.

Das Leben selbst, alle lebendigen Wesen auf dieser Erde, sind am leben, einfach nur um zu leben. Es muss nichts getan werden, damit dass Leben einen Wert bekommt. Es ist an sich bereits wertvoll, heilig, ewig und vollkommen.

Das Leben selbst, lehrt mich diese Botschaft. In dieser tiefen Botschaft schwingt viel Freiheit, Freude am Sein, Frieden, Heiligkeit, Leichtigkeit, und Verbundenheit mit allem mit.


Was ist also „zu leben“? Jeder Mensch findet seine Erfüllung in seinem ganz persönlichen Lebensweg! In meiner Welt, ist es der freie Fluss meines Lebens, der mir Gefühle schenkt, wie Leichtigkeit, Freude, Frieden, Klarheit und Bewusstsein, Liebe, Glück. Wenn mein Lebensfluss frei fließt, bin ich kraftvoll und entspannt. Ich fühle den Wert meiner Existenz. Das, was ich in mir habe und tue, ergibt Sinn und ich fühle mich als wertvollen Teil von etwas größerem.

In meiner Welt ist Leben pure Freude.


Was wäre dann „überleben“? Zu überleben bedeutet in Gefahr und Angst zu leben. Rein biologisch betrachtet ergibt auch dieser Zustand Sinn, denn durch Gefahr wird im Körper immer eine bestimmte Reaktion aktiviert, die körperliche Anspannung bringt mit erhöhter Aufmerksamkeit, Einstellung der Verdauungsfunktionen, der Sexualfunktionen uvm. Für diese Reaktion stellt der Körper enorm viel Energie zur Verfügung, denn diese Überlebensstrategie soll das Leben, was wir sind bewahren. Wird dieser „Zustand um zu überleben“ allerdings zum Dauerzustand (durch z.B. Biografie), wird wirklich entspannt und frei leben nicht möglich. Entspannt leben wird solange nicht möglich sein, solange der Überlebensmodus nicht abklingen darf. Solange kann und darf der Körper nicht in seinen „normalen“ Zustand.


Beide Zustände, "zu leben" und "zu überleben", sind nur eine Entscheidung entfernt!



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